Gespräch mit Anna Wegelin

Buchgestaltung ist eine Domäne für sich. Thomas Dillier hat sie zu
seinem Metier gemacht. Woher kommt seine Leidenschaft
für das Editorial Design und für Bücher? Und was macht die
digitale Transformation mit dem klassischen Buch?
Ein Werkstattgespräch mit Anna Wegelin.

 

Wie bist du zum Buchgestalter geworden?
Mein Weg verlief über Umwege. Ich lernte zunächst Reproduktionsfotograf, das ist ein technischer Beruf, den es heute nicht mehr gibt. Später absolvierte ich die Ausbildung zum Drucktechniker grafische Branche (TSGB) an der Schule für Gestaltung inBasel. Das dort erlangte technische Wissen ist heute Gold wert für meine Arbeit als Buchgestalter. An der TSGB entfachte Martin Sommer meine Begeisterung für das Fach Typografie, ein Schlüsselerlebnis in Bezug auf meinen jetzigen Beruf. In der Folge bildete ich mich bei Richard Frick an der Berufsschule für Gestaltung Zürich zum Typografischen Gestalter aus.
Gemeinsam mit meinem Bruder, Urs Dillier, führten wir während 15 Jahren ein Büro für Gestaltung. Seit zwölf Jahren bin ich Alleininhaber des Bureau Dillier in Basel.

 

Welche Qualifikationen braucht es für deinen Beruf?
Als Buchgestalter hast du eine ausgeprägte Fähigkeit für die ganzheitliche Herangehensweise und du musst sehr flexibel sein. Du willst dich mit dem Buchinhalt auseinandersetzen und hast die Bereitschaft, dich in unterschiedlichste Themen einzuarbeiten. Es kann vorkommen, dass du eine Bildrecherche machst oder beim Fundraisingkonzept zur Finanzierung einer Buchpublikation mitdenkst.

 

Du arbeitest also im interdisziplinären Kontext?
Das kann man so sagen. Als Buchgestalter tausche ich mich natürlich eng
mit der Autorin oder dem Autor aus, aber auch mit der Fotografin, dem Illustrator, dem Verlag, der Druckerei und der Buchbinderei. Im Idealfall bin ich von Anfang an in den Prozess miteinbezogen und es entsteht ein dynamisches Pingpong zwischen dem Auftraggeber und mir. Die Kommunikation mit Autorin, Fotograf und Verlag oder das Einbringen
von Ideen zu Textstruktur oder Bildredaktion – das sind Dinge, die nur in zweiter Linie mit Design zu tun haben, aber die Verständlichkeit und die Lesbarkeit des Inhalts fördern können.

 

Was tust du für eine gute Zusammenarbeit mit der Autorin
oder dem Autor?
Zunächst höre ich einfach zu und frage zurück: Was schwebt Ihnen vor? Was gefällt dir nicht und weshalb ist das so?
Das kann im besten Fall zu einem spannenden Austausch mit fruchtbaren Diskussionen führen und in ein tolles gemeinsames Produkt münden. Das gute Zusammenwirken muss nicht immer harmonisch sein, ein bisschen Reibung darf sein.

 

Was ist ein gutes Buch aus gestalterischer Sicht?
Bei einem guten, stimmigen Buch spielen Form und Inhalt zusammen.

Die subjektiv empfundene Schönheit eines Buchobjekts soll nicht Selbstzweck sein, sondern einen gelungenen Dialog mit dem Inhalt darstellen.
Der Satz «Form follows function», frei übersetzt: die Form und die Funktion sind in Balance, wird gerne zitiert, aber oft missinterpretiert. Seine Botschaft ist jedoch unübertroffen: Gestaltung ist der gelungene Ausdruck des Innern. Dabei soll das Äussere zum Inneren hin-
führen, verführen. Wozu soll ich mich als Designer selbst verwirklichen, wenn letztlich das fertige Buch nicht mehr funktioniert? Ich bin
der festen Überzeugung: Das Wichtigste beim Gestalten ist es, der Sache oder dem Zweck zu dienen. Ein Buch will angeschaut und auch gelesen werden. Das schliesst zwar den Mut zum Andersdenken, die Liebe zum Detail und selbst die Widersprüchlichkeit nicht aus, sollte jedoch zum Inhalt und zur Zielgruppe passen.

 

Welche Rolle spielt das Material beider Buchgestaltung?
Bücher sind ja nicht nur Wörter und Bilder, denen eine Gestalt verliehen wird. Bücher verlangen mehr, sie wollen in die Hand genommen werden. «Bücher kann man nicht abbilden», schreibt der deutsche Typograf Hans Peter Willberg. «Bücher muss man in die Hand nehmen, ihr Gewicht spüren, das Material spüren, in das sie gehüllt sind, das Material, auf dem sie gedruckt sind: das Papier.» Papier kann hart oder weich sein, getönt oder gelblich, matt oder gestrichen, opak oder lichtdurchlässig. Auch der Geruch und der Klang von Papier sind relevant für den Inhalt. Ein Buch kann und soll mit allen Sinnen wahrgenommen werden, damit es uns anspricht.

 

Wovon handeln die Buchprojekte, bei denen du als Gestalter mitwirkst?
Hast du eine thematische Präferenz?

Die Bücher, die ich gestalte, decken ein inhaltlich breites Spektrum ab: bildende Kunst, Architektur, Familien-porträts, Geschichte, Fotografie, Theater, Belletristik und Kunstkataloge.
Ich bin ein neugieriger Mensch und lerne bei jedem weiteren Buchprojekt Neues. Die Themenvielfalt inspiriert mich. Das klassische, gedruckte Buch istnicht mehr selbstverständlich.

 

Welche Rolle spielt die digitale Transformation und was bedeutet sie für deinen Beruf?
Die Digitalisierung und die damit einhergehende Informations- und Angebotsflut ist intensiv. Das E-Book ist ein Epochenschnitt. Es preist sich überall an, kann bequem in die Ferien mitgenommen werden und ist in der Regel viel günstiger als das gedruckte Buch.
In der Welt der Naturwissenschaften ist die digitale Publikation längst die Norm. Viele Verlage der Fach- und Wissenschaftsliteratur produzieren keine Bücher und Zeitschriften mehr, sondern sie bieten Hochschulen und Studierenden ihre Werke nur noch elektronisch und mit Open Access an. Mit Corona hat das digitale Lernen einen kräftigen Schub erhalten.
Umgekehrt führt die digitale Transformation auch dazu, dass das Buch als Objekt wichtiger geworden ist. Gedruckte Bücher und Buchhandlungen
mit einem guten Sortiment ermöglichen uns, Trouvaillen zu entdecken.
Heute legt man wieder grossen Wert auf Materialität, das besondere Buch ist
erneut wichtig geworden – denn ein Buch ist nicht einfach nur ein Buch. Für mich steht fest: Sinnlich erlebbare Bücher können durch nichts anderes ersetzt werden. Das stimmt mich optimistisch für die Zukunft meines Berufs als Buchgestalter.

 

Werden wir weiterhin im grossen Stil gedruckte Bücher kaufen?
Menschen, die viel lesen, sind häufig bibliophil. Sie verschlingen nicht nur Bücher, sondern lieben und verehren sie auch. Oftmals führen sie eine eigene Bibliothek. Sie sammeln besonders schöne Ausgaben, pflegen ihren Buchbestand und geben ihre Bücher nur ungern aus der Hand. Die Gestalt und die Ausstattung, die Haptik und der Geruch von Büchern – all das spielt für sie eine entscheidende Rolle. Alles andere ist zweitrangig. Mir geht es genauso.

 

Wie hast du es mit Büchern?
Bücher erzählen Geschichten. Sie geben Einblick in die Gedankenwelt und das Leben anderer, durch sie lerne ich neue Orte und Kulturen kennen. Lesen heisst eine Reise antreten. Ich schaue über den Tellerrand hinaus und erweitere meinen Horizont. Jedes Mal, wenn ich in einer fremden Stadt bin, besuche ich ihre Buchhandlungen. Zum Beispiel die Buchhandlung Walther König in Berlin: Oft vergesse ich beim Schmökern
die Zeit.

 

Welche Bücher haben es dir besonders angetan?
Daheim in unserer Wohnküche steht ein kleines Bücherregal. Hier liegen unsere momentanen Lieblingsbücher auf: der wunderbar gestaltete Band «Meret Oppenheim – Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln»; der Roman «4 3 2 1» von Paul Auster – souverän gestaltet für ein epochales Werk; das Fachbuch «Anatomie der Buchstaben»; ein Kochbuch, gestaltet von Irma Boom, einer, so finde ich, genialen Buchgestalterin; «Things I have learned in my life so far» von Stefan Sagmeister; ein Buch über El Lissitzky, das ich im Antiquariat erstanden habe; oder das Buch zu Markus Kutters Roman «Schiff nach Europa», das Karl Gerstner «optisch organisiert» hat…
Ein Leben ohne sorgfältig und gekonnt gestaltete Bücher, die man in die Hand nehmen will und die zum Lesen verleiten, kann ich mir schlicht nicht vorstellen.